von Ulf Lübs, 2016
Obstanbau in Reddelich hat Tradition. Zwar lässt sich gewerblicher Obstanbau erst ab Anfang des 20. Jahrhunderts belegen. Es gibt aber starke Indizien, dass dieser bereits früher eine Rolle bei uns gespielt hat. Dass die Mönche im Mittelalter Obstanbau betrieben und auch Sorten gezüchtet haben, ist geschichtliches Allgemeinwissen. Da werden auch die Doberaner Mönche keine Ausnahme gemacht haben. An welchen Standorten sie das in unserer Region taten ist mir allerdings nicht bekannt. Auch gehe ich davon aus, dass die Überlebenden des Dreißigjährigen Krieges zunächst andere Sorgen hatten, als Obst zu kultivieren. Wilde und verwilderte Obstbäume dürfte es indes allerorts gegeben haben. Aber genug der Spekulation.
Obstbau in der Region im 18. Jahrhundert
Den bislang ältesten Beleg für Obstanbau in unserer Region, über die Selbstversorgung hinaus, fand Axel Kähler [31] aus Glashagen bei der Recherche in alten Monatsschriften von und für Mecklenburg. In der Ausgabe von 1790 entdeckte er einen Aufsatz von Forstinspektor Hermann Friedrich Becker aus Rostock (siehe Wikipedia) mit dem Titel: Vom Obste, dessen ökonomischen Benutzung, und Ausfuhr desselben aus Mecklenburg.
Dort reklamierte der Autor für die Schiffer von Rostock die erstmalige regelmäßige Verschiffung von Frischobst nach Petersburg um 1730. Beinahe vierzig Jahre hatten sie quasi das Monopol auf dieses Geschäft. Der Einzugsbereich für die Obstlieferungen reichte bis Wismar im Westen, Krakow im Süden und Tribsees im Osten. Bauern und Güter hatten also reichlich Zeit, sich auf dieses lukrative Geschäft einzustellen. Unbekannt war die Züchtung und der Anbau von Obst in unserer Region jedenfalls nicht. H. F. Becker schrieb in seiner Einleitung:
… Die große Mannigfaltigkeit der Obstarten giebt uns bey ihrem so verschiedenen Geschmack, eben so viele Abwechselung von angenehmen Speisen. Es ist bekannt, wie sehr sich diese Gattungen noch durch äugeln, pfropfen und ablactiren und durch gute Cultur veredeln lassen. …
Wir haben in Mecklenburg ziemlich vieles, auch größtenteils schmackhaftes Obst; es wird entweder roh, gekocht oder getrocknet verspeiset, oder als Handelsware verschickt. …
Als begehrte Handelssorten führt er auf: Kantäpfel, Traubäpfel, Crivitzer, Königs- und Kopfäpfel als mittlere Sorten. Poireblanc, Poiregris, Kaiserbirn, Bergamottenbirn, Reinette und Borstorfer Äpfel zählten zu den feinen Sorten, für die doppelt so viel gezahlt wurde. Alleine 1790 fuhren 34 Schiffe mit Obst von Rostock nach Rußland, wobei die Schiffe jeweils zwischen 100 und 140 Tonnen Ladung transportierten.
Interessant in seinen Ausführungen ist auch die Beschreibung zum Bau eines Darrhauses zur Trocknung von Obst. Dörrobst war demnach zur damaligen Zeit weit verbreitet. In Mecklenburg allerdings vorwiegend zum Eigenbedarf. Die Russen bevorzugten, nach H. F. Becker, Dörrobst aus Frankreich: Dieses war süßer. Aber auch die einfachen Verfahren zur Herstellung von Wein, Essig, Schnaps und Likör werden dort anschaulich beschrieben. All dies war sicher auch den zeitgenössischen Reddelichern und Brodhägern bekannt. Leider wissen wir nicht, ob sie Obstbau nur zum Eigenbedarf im Garten betrieben oder vielleicht am Russlandgeschäft beteiligt waren.
Eine verblüffende Aktualität weist der nebenstehende Ausschnitt aus dem Nachsatz des beschriebenen Aufsatzes auf. Dabei liegen 225 Jahre zwischen der zitierten Passage und der Niederschrift dieses Artikels.
Obstbau in den Dorfschulen des 19. Jahrhunderts
Gleichfalls von Axel Kähler wurde ein herzogliches Regulativ von 1827 gefunden, in dem auf den offensichtlich vernachlässigten Obstbau in Mecklenburg reagiert wurde. Der Herzog sah sich zu drastischen Maßnahmen gezwungen um den Obstbau in seinem Domanium zu fördern. Schulmeister wurden fortan nur noch eingestellt, wenn diese nachweisen konnten, dass sie im Obstbau befähigt waren. Zur Befähigung wurden in Schwerin Seminare zum Thema Obstbau angeboten. Bereits etablierte Schulmeister wurden verpflichtet, sich auf Kosten der Schulkasse unterweisen zu lassen. In den Domanialdörfern waren Obstbaumschulen anzulegen, die von den Schulmeistern betreut wurden. Die Schulkinder waren dort, am praktischen Beispiel, in Obstbau zu unterrichten. Dies galt auch für Reddelich und Brodhagen. Da wir nicht genau wissen, wo die Kinder vor 1852 unterrichtet wurden kann über den Standort der Baumschule auch nur spekuliert werden.
1846 erließ der Herzog eine Verordnung aus der hervorgeht, dass das Regulativ von 1827 weitgehend ein Flop war, wie man heute sagt. Es war damals wohl wie heute: Obstbaumzucht ist eher etwas für Liebhaber und Spezialisten und lässt sich nicht erzwingen. Er ordnete an, dass dass in den Dörfern bereitgestellte, vernachlässigte Baumschulflächen als Obstgärten genutzt werden dürfen, jedoch keinesfalls für andere Zwecke. Schulmeister hingegen, die sich in Obstbaumzucht hervorgetan hatten, sollten öffentlich geehrt und prämiert werden.
1919 können wir den Bereich der Spekulation endgültig verlassen. In diesem Jahr legte Bauer Barten von der damaligen Hufe III seine Obstgärten an. Wie auf dem Foto von 1953 sehr gut zu erkennen ist, tat er dies in der Feldmark und in seinem Garten hinterm Haus. Von der Plantage auf dem Acker an der ehemaligen Kohlscheune ist lediglich ein Fragment der Wildhecke im Gewerbegebiet übrig geblieben. Die Obstbäume wurden 1979 gerodet, nachdem die Anlage völlig verwildert war. Danach gab es bis 2014 in Reddelich lediglich eine Streuobstwiese zwischen der heutigen B 105 und der Steffenshäger Straße, auf dem Gelände der ehemaligen Büdnerei 24.
Nach 2014 wurden im Gemeindegebiet wieder systematisch Obstbäume gepflanzt. Unter der Leitung von Dr. Silvia Kastell aus Reddelich und unter dem Dach des Kulturvereins für Reddelich und Brodhagen e. V.
fand sich eine Arbeitsgruppe von Baumfreunden aus Reddelich und Umgebung zusammen. Ins Leben gerufen wurde das Projekt Reddelicher Obstarche
, mit dem alte und neue Obstsorten auf Gemeindeland angepflanzt wurden. Ziel war die Bewahrung einer möglichst großen Sortenvielfalt. Bereits Ende 2015 waren 240 Obstbäume auf neu angelegten Streuobstwiesen und an Wegrändern gepflanzt. Bestandteil des Projektes ist eine umfangreiche Dokumentation der Pflanzungen und deren Veröffentlichung im Internet.