Infrastrukturmaßnahmen in der Gemeinde

Der wirtschaftliche und technische Fortschritt im 19. Jahrhundert wäre unmöglich ohne die rasante Entwicklung der Infrastruktur. Auch die Menschen auf dem Lande – sogar in Mecklenburg – gaben sich nicht mehr mit den natürlichen Gegebenheiten zufrieden. Der Trend ging eindeutig von Anpassung zur Gestaltung, auch in Reddelich. Mit Brodhagen haben wir aber auch ein gegensätzliches Beispiel.

In Brodhagen hätten noch Mitte des 20. Jahrhunderts Filme vom Dreißigjährigen Krieg gedreht werden können, ohne dass moderne Straßen, Strom oder Telefonmasten und befestigte Gehwege die Kulissen stören würden. Einzig der Schornstein der Kalkbrennerei zeigte bis 1911, als die Kalkbrennerei abgerissen wurde, etwas Fortschritt in der Brodhäger Skyline.

Eine Maßnahme, die Reddelich massiv veränderte, war der Bau der Chaussee Rostock – Wismar in den Jahren 1842 bis 1847. Reddelich bekam nicht nur eine moderne, ganzjährig zu befahrene Straße sondern auch eine Mautstation. Gebaut wurde ein Chausseehaus mit vorgebautem Erker, wo ein Chausseegeldeinnehmer Benutzungsgebühren kassierte. Diese Häuser gab es in Abständen von rund einer Meile, also alle 7,5 km. Was die neue Straße für Reddelich bedeutete und wie der Zustand vorher war, ist im Artikel über die Topografie des Gemeindegebietes beschrieben.

Eine andere Maßnahme, die sich als Glücksfall für Reddelich erwies, ist der Bau der Eisenbahnstrecke Rostock – Wismar 1883. Reddelich bekam einen Haltepunkt und wurde Güterverladestelle für die Region. Die Strecke wird noch heute für den Personentransport betrieben und ist ein bedeutender Standortfaktor für die Gemeinde.


Das 19. Jahrhundert war auch ein Jahrhundert des Bauens in Mecklenburg. Nie zuvor wurden auf dem Lande so viele Gebäude errichtet. Der Blick auf die Bevölkerungsstatistik zeigt einen enormen Zuwachs an Einwohnern, die immer weniger bereit waren, unter menschenunwürdigen Wohnbedingungen zu leben. Der Herzog stand unter Handlungszwang. Er reagierte mit Büdnereiansetzungen, Häuslereiprogrammen und Einliegerförderungen. Auch auf den Gütern musste den veränderten Wirtschaftsbedingungen Rechnung getragen werden. Die Bauerndienste fielen weg und die Arbeit musste von Tagelöhnern erledigt werden. Das Gesinde war nicht mehr bereit, beim Vieh zu schlafen, oder sich winzige Kammern zu teilen. Ihr Druckmittel war die Freiheit, den Hof zu verlassen und sich anderorts zu verdingen.

All diese Veränderungen schrien förmlich nach mehr Wohnraum. Auf den Domänen ließ der Herzog Katen für die Tagelöhner bauen und die Gutshäuser größer errichten. Ob Büdnerein, Häuslereien oder Katen, diese Gebäude wurden nicht individuell geplant und erricht. Es waren Standardbauwerke, wie sie in ganz Mecklenburg nahezu gleichartig errichtet wurden.

Die Veränderungen in der Landwirtschaft bedingten auch die Anpassung der Wirtschaftsgebäude. Neue Ställe und massive Scheunen wurden gebaut. Die Reparationsleistungen der Franzosen, nach ihrer Niederlage 1871, waren ein bedeutender Teil der pekunitären Basis für den einsetzenden Bauboom. Sehr viele der damals errichteten Häuser prägen noch heute die Struktur der Dörfer. Die solide Bausubstanz der damals errichteten Wirtschaftsgebäude wird zum Teil noch heute genutzt.

Spätestens 1919 wurde Reddelich elektrifiziert. Ob die Büdnerei № 16 der erste Hof war, der in diese Neuerung investierte ist nicht bekannt. Büdner Vanheiden hatte jedenfalls von da an elektrisches Licht und einen 5 PS starken Elektromotor zur Verfügung. Damit war er seinen Kollegen weit voraus. Die Beleuchtung machte ihn unabhängig vom Tageslicht und mit dem Elektromotor besaß er eine universelle und ausdauernde Kraftquelle. Im Gegensatz zum Dampflokomobil war der E-Motor mit Riemenantrieb binnen Sekunden betriebsbereit. Damit ließen sich viele Geräte antreiben. Dreschkästen, Sägegatter oder Schrotmühlen seien hier stellvertretend genannt.

Die Kontinuität in der Entwicklung der Landwirtschaft können wir im Bauwesen nicht feststellen. Zwischen den Weltkriegen wurde in Reddelich und Brodhagen wenig gebaut. Die Ausnahmen waren die Kohlscheune und die Häuslereien Nr. 34 bis 41. Ursachen waren zum einen die Nachwirkungen von Krieg und Inflation und zum anderen die Bindung regionaler Baukapazitäten an zentrale Bauprojekte zur Kriegsvorbereitung. Das waren in unserer Region der Aufbau der Flak-Schule und Garnison Wustrow sowie der Bau von Arbeiterwohnungen für die Heinckelwerke Rostock in Bad Doberan. Nach 1939 war an private Bauprojekte nur zu denken, wenn der Bauherr die Kriegswichtigkeit nachweisen konnte.

Artikel aktualisiert am 24.01.2024