Die Reddelicher Büdnerei № 1

Von Reinhold Griese (Recherche), Ulf Lübs (Text, Layout).

Das Hofgrundstück der Büdnerei № 1, am Weg nach Hundehagen, gegenüber der ehemaligen Schule gelegen, ist heute nicht mehr als ehemaliger Bauernhof zu erkennen. Das Grundstück ist parzelliert und mit neuen Eigenheimen bebaut. Das letzte Gebäude des ehemaligen Hofes, ein marodes Wohnhaus, wurde im Jahr 2001 durch die jetzigen Eigentümer abgerissen.

1818 erwarb der Weber Mahn und sein Schwiegersohn die Büdnereien № 1 und № 2. Aus dem Büdnervertrag geht hervor, dass die Büdnerei № 1 bereits mit einem Katen bebaut war und die Büdnerei № 2 unbebaut übergeben wurde. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich dabei um den roten Katen, der dem umliegenden Gelände den Namen Roden Koettenwisch gab. Dieser Name wurde im Laufe der Zeit zu Roden Koeterwisch entstellt, was fälschlich eine Assoziation mit einem roten Köter (Hund) bewirkt. Nicht belegt, aber wahrscheinlich ist die Abtrennung eines bereits im Leibeigenenverzeichnis von 1754 aufgeführten Katens von der Hufe IV als Basis für die Büdnereien № 1 und 2. Acker wurde der Büdnerei an der Grenze zu Steffenshagen zugeteilt.

1827 übernahm Hans Goesch aus Brodhagen die beiden Büdnereien. 1832 wechselt erneut der Besitzer, Christoph Bitter wurde Eigentümer der Doppelbüdnerei. Ab 1834 wurden die Büdnerein № 1 und 2 getrennt bewirtschaftet. Die Büdnerei № 1 erwarb der Hauswirtssohn Johann Masch. Warum bereits nach zwei Jahren ein Eigentümerwechsel stattfand, konnte nicht ermittelt werden.

1840 übernahm Jochim Westendorf, ein Knecht aus Stülow, die Büdnerei und 1856 Johann Bull, ein Zimmerergeselle. 1864 übernahm Johann Levetzow, Arbeitsmann aus Niedersteffenshagen, die Büdnerei. Offensichtlich gab es Probleme bei der Abwicklung der Übergabe, denn noch im selben Jahr übernahm Christoph Niemann, Hauswirtssohn aus Glashagen, die Büdnerei. Auch er blieb nur sechs Jahre Büdner.

Zur Volkszählung 1867 lebten auf der Büdnerei:

  • Der Büdner Christoph Nieman (geb. 1839) mit Ehefrau Sophia (geb. 1843) und Sohn Wilhelm (geb. 1863).
  • Der Einlieger Johann Plözt (geb. 1823) mit Ehefrau Doretea (geb. 1821).
  • Der Einlieger Carl Lorens (geb. 1814) mit Ehefrau Maria (geb. 1816), den Töchtern Sophia (geb. 1846) und Anna (geb. 1856) sowie der Enkeltochter Laida Olday (geb. 1860). In Kröpelin hielt sich am Zähltag Maria Lorenz (geb. 1843) und Rika Lorenz (geb. 1851) auf.
  • Der Einlieger Joachim Wendt (geb. 1793) mit Ehefrau Maragareta (geb. 1795).
  • Der Einlieger Gotlieb Penzin (geb. 1827), mit Ehefrau Julia (geb. 1830) und den Kindern Maria (geb. 1858), Wilhelm (geb. 1861) und Friederich (geb. Sep. 1867).
  • Der Einlieger Petter Penzin (geb. 1819) mit Ehefrau Mina (geb. 1820) und Sohn Wilhelm (geb. 1840).
  • Der Einlieger Joachim Zinrow (geb. 1819) mit Ehefrau Maria (geb. 1824) und Sohn Heinrich (geb. 1853). In Brunshaupten hielt sich am Zähltag Johann Zinrow (geb. 1852) auf.

Auch wenn es aus heutiger Sicht unglaublich klingt, in dem recht unscheinbaren Haus wohnten damals sieben Familien mit insgesamt 23 Personen.

1870 gab es wieder einen Eigentümerwechsel. Christoph Bull wurde als Besitzer eingetragen. Er zahlte den Kanon in Höhe von 1.087 Mark und 50 Pfennig, und ist damit der erste Volleigentümer der Büdnerei. 1885 erwarb Joachim Bull, Arbeitsmann aus Diedrichshagen, die Büdnerei für 12.000,- Mark. Ob die Namensgleichheit auf verwandtschaftliche Verhältnisse beruht, ist nicht bekannt. 1899 wurde Christian Schultz der Besitzer. Nach Aktenlage war er der langjährigste Büdner auf der Stelle. 1922 erhielt das Haus einen Elektroanschluss für Lampen und 1927 wurde eine Mietwohnung angebaut.

Zur Volkszählung 1900 lebten auf der Büdnerei:

  • Der Büdner Christian Schultz (geb. 1852) mit Ehefrau Marie (geb. 1848) und Sohn Heinrich (geb. 1880);
  • Die Schwiegermutter des Büdners Dorathea Reitzing (geb. 1819);
  • Die Rentnerin Sophie Schultz (geb. 1811);
  • Der Fischhändler Christoph Hameister (geb. 1849) mit Ehefrau Sophie (geb. 1857) und Sohn Franz (geb. 1893);
  • Die Landarbeiterin Marie Oemigk (geb. 1855) mit Tochter Anna (geb. 1890);
  • Der Schäferknecht Wilhelm Reimer (geb. 1868) mit Ehefrau Auguste (geb. 1873) und den Töchtern Friederike (geb. 1893), Louise (geb. 1897) und Anna (geb. 1899);
  • Der Landarbeiter Friedrich Russ (geb. 1863) mit Ehefrau Luci (geb. 1860) und den Kindern Elise (geb. 1890), Elsa (geb. 1894), Herman (geb. 1896) und Ida (geb. 1899)
  • Der Landarbeiter Heinrich Bull (geb. 1871) mit Ehefrau Hendrike (geb. 1870) und den Kindern Heinrich (geb. 1888), Anna (geb. 1892), Wilhelm (geb. 1893), Martin (geb. 1895) und Ella (geb. 1897).

27 Personen in acht Haushalten waren selbst für damalige Verhältnisse ungewöhnlich viele für eine Büdnerei.

1939 erwarb Robert Gutmann die Büdnerei und vererbte diese 1948 seinem Sohn, Herbert Gutmann. 1945 lebten auf der Büdnerei: Robert Gutmann mit Ehefrau und Sohn, Christoph Bull, Oskar und Hetha Wilsky mit den Kindern Anita, Günter und Hannelore sowie Frau Düwel. 1957 verkaufte Herbert Gutmann die Büdnerei an die Eheleute Johann (geb. 1914) und Lydia (geb. 1919) Heinrich, geborene Gerke. Als Kaufpreis wurden 40.000 Mark zuzüglich 8.000 Mark für einen elektrischen Dreschsatz vereinbart. 1960 trat der Büdner Heinrich in die LPG ein.

2000 kaufte Bianka Radike, geb. Heinrich, mit ihrem Lebensgefährten Ralf Horn, das Hofgrundstück der Erbengemeinschaft Heinrich ab. Dieses stand seit dem Tod ihrer Großmutter im Jahr 1988 leer. Acker- und Weideland verblieben bei der Erbengemeinschaft. Mit der Trennung von Land- und Hofbesitz verlor das Anwesen seinen Charakter als Büdnerei. Der Acker wird von der Agrar AG Kühlung in Pacht bewirtschaftet, das Weideland vom Reddelicher Landwirt Andreas Elmer in Unterpacht. Der häufige Wechsel der Pächter und Eigentümer der Büdnerei war so ziemlich die einzige Konstante in ihrer Geschichte und belegt den provisorischen Charakter von Büdnereien in Mecklenburg.

2002, im März, beschloss die Gemeindevertretung, auf Antrag der Bauherrengemeinschaft Horn/Radike, die Aufstellung einer Ergänzungssatzung. Diese bekam den Namen "Südliche Dorfstraße" und betrifft das Terrain der ehemaligen Büdnerei № 1 von Reddelich.


Die letzten Büdner auf der Büdnerei № 1 waren Johann Heinrich, geboren in Dembiae, Westpreußen (heute Polen), gestorben 1983 in Reddelich, und Lydia Heinrich, geborene Gerke, geb. 1919 in Striegebrück, Westpreußen, gestorben in Reddelich, Anfangs wohnten die Eheleute in Rypin (Westpreußen). Johann wurde 1939 zum Militär eingezogen und kam 1946 aus der Gefangenschaft zurück. Lydia ist mit ihren drei Kindern: Gerhard (geb. 1937) in Striegebrück; Willi (geb. 1943) in Rypin; und Helmut (geb. 1944) in Rypin, sowie ihrer Mutter und ihrer Schwester im Dezember 1944 von Rypin in den Kreis Schlawe in Pommern, dann nach Ribnitz-Damgarten in Mecklenburg-Vorpommern geflüchtet. Im Herbst 1946 fand Johann seine Familie in Ribnitz-Damgarten wieder. Die gesamte Familie zog im Spätherbst 1946 nach Wahrstorf im Kreis Rostock auf ein ehemaliges Gut in eine Neubauernsiedlung und musste sich in ganz ärmlichen Verhältnissen durchschlagen. Dort kamen die Kinder: Renate (1947); Dieter (1948) Christian (1952) Erna (1953) und Karl Heinz (1955) zur Welt.

Im Zuge der Gründung der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) hatten die Eheleute Johann und Lydia Heinrich 1957 die Möglichkeit, ihren Besitz in Wahrstorf zu verkaufen, da schon viele freie landwirtschaftliche Betriebe staatlich bewirtschaftet wurden. So wurde die Familie durch die Abgabe ihres Betriebes entschädigt und konnte durch einen Grundstücksmakler in Bad Doberan die Büdnerei № 1 in Reddelich, Dorfstr. 21, von der Familie Robert Gutmann kaufen. Im Jahr 1958 kam dort das jüngste Kind, Ulricke, zur Welt.

Der Kaufpreis betrug nach Erinnerung von Sohn Gerhard etwa 40.000 Mark. Weiterhin wurde von den Verkäufern zum Preis von 8.000 Mark ein Dreschsatz (mit Strom betriebene landwirtschaftliche Maschine zum Getreidedreschen und Stroh pressen) gekauft. Die kleineren Betriebe in der unmittelbaren Umgebung konnten diese Maschine gegen entsprechendes Entgelt nutzen, so dass daraus weitere Einkünfte für Familie Heinrich erzielt wurden.

Zur großen Freude der Mutter Lydia befand sich die Dorfschule mit dem Lehrer Fensch gegenüber der Büdnerei und ersparte den Kindern weite Schulwege.

1960 wurde die Büdnerei von der LPG übernommen und Johann musste in der Produktionsgenossenschaft als Arbeitskraft in der Ferkelaufzucht arbeiten. Der Sohn Gerhard wollte kein Mitglied der LPG werden. Da er jedoch aus einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb kam, durfte er aufgrund staatlicher Vorgaben keine andere berufliche Tätigkeit ausüben. Daher übernahm er gezwungenermaßen eine Beschäftigung bei der Besamungs- und Deckstation in Stralsund, die er als Besamungstechniker bis März 1961 (seine Auswanderung in die BRD) ausübte.

Gerhard Heinrich, im März 2012

Bianka Radike, Tochter von Renate Heinrich, verbrachte einen Großteil ihrer Kindheit bei ihren Großeltern Johann und Lydia Heinrich. Sie erinnert sich 2012 an diese Zeit:

Im Wohnhaus meiner Großeltern lebten drei Familien. In der Ostseite wohnten die ehemaligen Besitzer, Robert und Elisabeth Gutmann, mit ihrem Sohn Herbert. Später zog Herr Günter in die Wohnung. Die Mitte bewohnten meine Großeltern und auf der Westseite lag die Wohnung der Familie Richard und Frieda Milde.
Aus heutiger Sicht mag das sehr beengt erscheinen, damals waren derartige Wohnverhältnisse aber nicht ungewöhnlich. Als Kind erschienen einem die Dimensionen der, objektiv besehen, doch recht kleinen Wirtschaft ohnehin riesig.
Da beschlich mich 2001, beim Abriss der alten Bausubstanz, das eigenartige Gefühl, wie überschaubar die Stätten meiner Kindheit mit dem Blick einer erwachsenen Frau doch geworden sind.

[44]

Artikel aktualisiert am 26.03.2024