In dieser Rubrik bieten wir die Geschichte von Reddelicher Bauernhöfen, der Molkerei, dem Bahnhof, der Schule und der Häuslereien. Deren Geschichte war immer auch die Geschichte der Bewohner. Anders als heute arbeiteten die Menschen auf dem Lande früher meist in ihrem Wohnumfeld. Lohnarbeit außerhalb des Heimatdorfes als Normalfall, ist ein, historisch gesehen, sehr junges soziales Experiment der Gesellschaft mit völlig ungewissem Ausgang.
Durch die Darstellung der Geschichte der Dorfbewohner versuchen wir ein Bild über deren Lebensweise zu zeichnen. Inwieweit Vorurteile und Klischees über das Leben in mecklenburgischen Dörfern ihre Berechtigung haben, muss jeder für sich entscheiden.
Seit 1819 gab es auch in Mecklenburg Volkszählungen. Diese fanden in unregelmäßigen Zeitabständen und mit unterschiedlichem Aufwand statt:
Reddelich war die längste Zeit seiner Geschichte ein Bauerndorf, in dem bis zu neun Hufen, die soziale Struktur bestimmten. Erst ab 1817, mit der Errichtung von Büdnereien, begann in Reddelich eine Erweiterung des sozialen Spektrums. Dann wurde die Entwicklung Reddelichs – für Mecklenburgische Verhältnisse – rasant. Die Reddelicher wurden nicht nur von Leibeigenen zu freien Dorfbewohnern, sie durften sich auch als Büdner und Handwerker niederlassen oder als Landarbeiter eigene Häuser bauen.
In der Folge wurde Reddelichs Westend mit Büdnereien und Häuslereien erschlossen. Um 1830 betrieb der Büdner Roß auf der Doppelbüdnerei № 3/4 eine Schmiede. Die zunehmende Verwendung von eisernen Werkzeugen und Beschlägen und, vor allem, die zunehmend notwendig gewordenen Hufbeschläge, verschafften einem Dorfschmied Arbeit. Dabei spielte sicher auch eine Rolle, dass ab 1825 auch Büdner Pferde halten durften. Zwischen den neu entstandenen Büdnereien wurde die erste Häuslerei gebaut (1851) und ein Schulgebäude errichtet (1852). Die Schulpflicht, und einen Lehrer gab es zwar schon vorher, jedoch wissen wir nicht, wo dieser unterrichtete. Denkbar und plausibel ist, dass ihm ein Raum im Schulzenhaus dazu zur Verfügung stand.
Mit dem Ausbau der, damals an Reddelich vorbei führenden, Poststraße zu einer befestigten Chaussee um 1845, verlagerte sich die Dorfentwicklung zunehmend nach dort. Reddelich bekam eine Mautstation mit Chaussee-Wärter, damals Chaussee-Geldeinnehmer genannt. Es wurden Häuslereien zwischen Dorf und Straße errichtet.
Nach der Reichsgründung 1871 muss es auch in Reddelich förmlich nach Aufschwung gerochen haben. Gesetze und Verordnungen überschlugen sich förmlich, und gereichten den Reddelichern meist zum Vorteil, da Mecklenburg seine rückständigen Gesetze der preußisch dominierten Reichsgesetzgebung anpassen musste. Auch zeigte die Intensivierung der Landwirtschaft ihre Wirkung. So zog mit der Gründung einer Genossenschaft und dem Bau der Molkerei ein Hauch von Industrialisierung in Reddelich ein. Von zunehmenden Wohlstand zeugt auch das aufkommende Kulturleben in Reddelich.
Der militaristisch angehauchte Hurra-Patriotisnus der Kaiserzeit im beginnenden 20. Jahrhundert zeigte sich in Reddelich durch Vereinsgründungen und der Aufstellung eines Völkerschlachtsdenkmal. Wie in ganz Deutschland trat auch in Reddelich 1918 Ernüchterung ein. Statt im Dorf für Wohlstand durch Arbeit zu sorgen, kämpften viele Männer im besten Alter für Kaiser, Volk und Vaterland in Deutschlands Nachbarländern. Viele wurden dort auch begraben oder kehrten kriegsversehrt heim.
Der Schwur, Nie wieder Krieg! hielt kein viertel Jahrhundert. Die Ära Tausend Jahre Nationalsozialismus mündete bekanntermaßen bereits nach zwölf Jahren in ein Desaster für Deutschland. Reddelich kam relativ ungeschoren davon. Exzesse oder gar Kriegsverbrechen sind für Reddelich nicht bekannt. Kriegsschäden durch Kampfeinwirkung hatte das Dorf nicht zu beklagen. Die Besetzung durch Einheiten der Roten Armee blieb erfreulich kurz und selbst die landwirtschaftliche Struktur blieb vorerst erhalten. Enteignungen von Großgrundbesitz und Kriegsverbrechern gab es nicht.
Das Gesellschaftsexperiment Sozialismus ist zwar mehr als dreißig Jahre vorbei und der Staat DDR in der BRD aufgegangen. Die Rückschau könnte kaum kontroverser sein. Das Spektrum der Ansichten reicht von Verklärung bis Verteufelung. Jeder Zeitzeuge hat seine Sicht und seine Erfahrung. Nicht alle Ansichten passen in gängige Schubladen und nicht jeder findet sich in Publikationen über diese Zeit wieder. Das ist aber auch gut so.
Eine solche Performance der Lebensumstände wie in der jüngsten Vergangenheit haben vor uns keine Reddelicher und Brodhäger erlebt. Vier unterschiedliche Gesellschaftsordnungen in hundert Jahren, technisch-technologische Fortschritte in atemraubender Geschwindigkeit, kakophonetische Kommunikation auf irrational vielen Kanälen, eine nie gekannte Vielzahl von Möglichkeiten individueller Entfaltung … Aber auch einen exponentiellen Ressourcenverbrauch und einen Hang zu irrationalen Anschauungen müssen Chronisten für die Gegenwart konstatieren. Unverkennbar ist auch der zunehmende Wunsch vieler Mitmenschen nach einer Gleichschaltung durch doktrinierender, vereinfachender Weltanschauungen mit religiösen Zügen.
Viele Geschichten und Berichte über Einwohner von Reddelich und deren Schicksale und Lebensläufen sind bei der Beschreibung der Bauernhöfe (Hufen), der Büdnereien und Häuslereien veröffentlicht. Als Beispiel für familiere Schicksale sollen nachfolgende Geschichten dienen.