In 2016 kochte das deutschlandweit bestehende Problem der Unterversorgung mit Breitbandanschlüssen erneut hoch. Die Politik auf Landes- und Bundesebene fand auch bei diesem Thema viele warme Worte für betroffene Kommunen. In der Praxis wurde Deutschland international zu einem Beispiel, was passiert, wenn moderne Technologie auf preußische Bürokratie trifft.
Nachfolgend eine Veröffentlichung zum Thema "Glasfaser für Reddelich" vom damaligen Bürgermeister Ulf Lübs
Am 26. Oktober 2017 habe ich den Kooperationsvertrag mit der Firmengruppe Deutsche Glasfaser AG
zum Bau eines Telekommunikationsnetzes, basierend auf Glasfasertechnologie, unterzeichnet. Das war, sozusagen, der Startschuss für den Anschluss der Haushalte in der Gemeinde an ein modernes, zukunftssicheres Breitbandnetz.
Noch im August hatte ich wenig Hoffnung, dass sich auf dem Gebiet etwas bewegt. Die Deutsche Glasfaser hatte die Versorgung unserer Gemeinde an Doberan und Hohenfelde gekoppelt. Die Initiative des Landkreises zur Versorgung steckt immer noch in der Bürokratie und den Bedingungen der Fördermittelgeber fest – mit ungewissem Ausgang. Nun hat sich für 251 Haushalte in Reddelich bei der Deutschen Glasfaser ein Zeitfenster geöffnet.
Mit der Vertragsunterzeichnung startet die Deutsche Glasfaser nun ihre sogenannte Nachfragebündelung und wird die betroffenen Haushalte direkt anschreiben. Den offiziellen Auftakt bildet die Informationsveranstaltung am Donnerstag, den 2. November um 18:30 Uhr im Partyhaus Reddelich. Dort sind alle Interessierten herzlich eingeladen. Entscheiden sich mindestens 100 Haushalte (40 Prozent) für einen Versorgungsvertrag, ist die Bauausführung für das Frühjahr 2018 geplant.
Die Deutsche Glasfaser ist kein gemeinnütziger Verein sondern ein profitorientiertes Unternehmen. Daran lassen die Vertreter der Firmengruppe keinen Zweifel. Refinanzieren will das Unternehmen die Investitionen durch den Verkauf der Produkte, die durch deren Netz zu den Verbrauchern kommen. Das ist ehrlich und eine gute Geschäftsgrundlage – meine ich. Mit der Unterzeichnung des Kooperationsvertrages stellt die Gemeinde der Deutschen Glasfaser den öffentlichen Bereich zur Verlegung ihrer Leitungen kostenfrei zur Verfügung und hat die Voraussetzungen für echten Wettbewerb auf dem Gebiet der Telekommunikation geschaffen. Nun liegt es an den Bürgern, ob unsere Gemeinde eine Alternative zu einem Quasi-Monopolisten bekommt, der mit "T" beginnt und mit "om" endet.
Der Bürgermeister Ulf Lübs veröffentlichte in der Dorfzeitung Raducle, Ausgabe 24, einen Artikel zum der Breitbandversorgung in unserer Region:
Breitband oder schnelles Internet?
Um es gleich vorweg zu nehmen, beides steht für dasselbe. Doch wie ist es in Reddelich und Brodhagen damit bestellt? Von Breitbandversorgung ist – verwaltungstechnisch – die Rede, wenn ein Datendurchsatz zur Telekommunikation mindesten 50 MB/s erreicht. 2013, als in der Gemeinde die erste Ausbaustufe freigeschaltet wurde, waren es noch 30 MB/s. Dieses Ziel wurde damals zum Teil erreicht. An den Verteilerkästen am Abzweig Brodhagen und an der Einfahrt in die Alte Dorfstraße liegen seitdem Glasfaserleitungen an, die Datendurchsätze von 100 MB/s und mehr ermöglichen. Von dort bis zu den Hausanschlüssen liegen Kupferleitungen, die einen Durchsatz von bis zu 50 MB/s ermöglichen – theoretisch.
Mittlerweile wird ab 50 MB/s erst von Breitbandversorgung gesprochen. Da bleibt die Zeit nicht stehen. Damit ist Brodhagen komplett und Reddelich in großen Teilen unversorgt. Lediglich in einem Radius von ca 30 Meter um den Verteilerkasten in der Alten Dorfstraße kann von Breitbandversogung gesprochen werden. Möglich sind bereits Übertragungsraten von über 100 MB/s. Derzeitiger Stand der Technik für terrestrische Telekommunikationsversorgung ist die Glasfasertechnologie bis zu den Hausanschlüssen.
Der 2. Ausbaustufe für unsere Gemeinde hat sich der Landkreis angenommen. Natürlich nicht ausschließlich für uns, sondern eingebettet in ein großes Projekt für den gesamten Landkreis. Daran wird bereits seit zwei Jahren gearbeitet. Mit Arbeit ist in diesem Fall weniger schaufeln, baggern oder verdrahten von Leitungen gemeint, sondern viel Schreibtischarbeit zur Planung und Bearbeitung von Förderanträgen. Ziel dieses Projektes ist die Breitbandversorgung ALLER Haushalte im Projektgebiet, unabhängig von deren Rentabilität. Dazu gibt es Förderzusagen von fast 120 Millionen €, wobei auch unsere Gemeinde zu den Begünstigten zählt. Die Bagger rollen allerdings erst nach Ausschreibungen der Leistungen und der Auftragsvergabe nach den Regeln für öffentliche Ausschreibungen an. Das kann sich noch etwas ziehen. Nach Auftragserteilung in dieser Dimension, stellt sich sofort die Kapazitätsfrage für die Bauausführung. Die Firmen der Tiefbaubranche sind bereits jetzt schon gut ausgelastet.
Zwischenzeitlich liegt auch ein Angebot eines privaten Telekommunikationsunternehmens vor, bis zu den Endverbrauchern Glasfaserleitungen zu legen. Dies sorgt in den Kommunen der Region teilweise für Irritationen. Die DEUTSCHE GLASFASER AG, wie das Unternehmen heißt, zieht ihr Projekt ohne Fördermittel durch. Förderanträge behindern die Firma nur. Sie ist, nach eigener Aussage, mit reichlich Geld von internationalen Investoren ausgestattet. In der Region ist die DEUTSCHE GLASFASER AG bereits aktiv. Sie hat die Kommunen in der Region vermessen um exakt planen zu können. Auch in Reddelich wurden die Vermessungsfahrzeuge der Firma bereits gesehen. Der nächste Schritt ist die Ermittlung der Nachfrage bei den Hausbesitzern für Glasfaseranschlüsse. Die Firma will keine Anschlusskosten erheben. Refinanziert wird das Projekt ausschließlich über die monatlichen Versorgungskosten. Das geplante Preisniveau soll den jetzigen Kosten entsprechen, jedoch mit wesentlich besserer Versorgung.
Die Deutsche Glasfaser AG wird also auch in Reddelich und Brodhagen den direkten Kontakt zu den Hausbesitzern suchen. Bauen will sie, wenn eine Zustimmungsrate von vierzig Prozent erreicht ist. So oder so, die Gemeinde wird jetzt, sozusagen auf den letzten Metern, keine schnellen, unüberlegten Entscheidungen treffen. Die Entscheidung liegt ohnehin bei den Verbrauchern.
Die Gemeinde hat ein Mitspracherecht bei der Nutzung des öffentlichen Raumes für die Leitungen und wird dieses im Interesse der Bürger wahrnehmen. Die Gespräche im Bauausschuss der Gemeinde haben eine Tendenz zur DEUTSCHEN GLASFASER AG erkennen lassen. Allerdings wird die Erschließung unserer Gemeinde nur im Block mit Bad Doberan, Steffenshagen und Hohenfelde erfolgen. Doberan und Innovation? Das kann, nach meiner Erfahrung, leider noch dauern.
Reddelich, im Juni 2017
Ulf Lübs
2020 veröffentlichte der Bürgermeister Ulf Lübs zum Ausbau eines Glasfasernetzes in Reddelich:
In der Fachwelt gibt es den Begriff des digitalen Grabens. Diesseits dessen befinden sich die Zeitgenossen, die einer fortschreitenden Digitalisierung aufgeschlossen gegenüberstehen und in den Möglichkeiten auch persönliche Chancen sehen. Dafür sind diese auch bereit, sich entsprechend weiter zu bilden. Dass dies keine Frage des Alters ist, beweist unsere Gemeindevertretung eindrucksvoll. Jenseits des digitalen Grabens befinden sich jene, die sich mit den Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung nicht auseinandersetzen möchten.
Noch vor zwei Jahren, bei Diskussionen über das Für und Wieder von Glasfaseranschlüssen, spielten Argumente wie hochauflösendes Fernsehen oder Home Office kaum eine Rolle. Heute kann die Verfügung einer entsprechenden Bandbreite am Wohnort über eine berufliche Karriere entscheiden.
Wie viele meiner Nachbarn, habe auch ich einen funktionierenden Glasfaseranschluss im Haus. Nun brauche ich nicht mehr meine Enkel aus dem Gast-WLAN zu werfen, wenn ich mal einen Film streamen möchte. Auch komplexe Internetseiten stehen jetzt quasi in Echtzeit auf dem Monitor. Der Aufbau eines VPN-Tunnels zur Amts-EDV ist kein Problem, selbst wenn zeitgleich Familienmitglieder das Internet nutzen. Das Beste ist aber das Upload: Mails, auch mit Anhang, sind quasi mit dem Mouseklick versendet und große Dateien in eine Cloud zu versenden, geht jetzt ohne Kaffeepause.
Dass man kaum noch etwas vom Anbieter DEUTSCHE GLASFASER hört, interpretiere ich als gutes Zeichen. Alle, die mit dabei sind, werden die neuen Möglichkeiten genießen. Die nicht dabeisein wollen, werden es wohl auch nicht vermissen, zumal sie ja indirekt profitieren. Herrscht doch nun wesentlich weniger Gedränge auf den DSL-Leitungen. Die noch dabeisein möchten, müssen jetzt für sich kämpfen und Kontakt zur DEUTSCHEN GLASFASER aufnehmen.
In die Chronik der Gemeinde wird der Weg zu dieser modernen Infrastruktur als beispielhaft eingehen. Es wurde aufgezeigt, dass Bürgerinitiativen nicht zwingend destruktiv, also zur Verhinderung von irgendwas, sein müssen. Das Projekt "Glasfaser für unser kleines Reddelich" ist nur zu einem guten Ende gebracht worden, weil Einwohner nicht nur an sich gedacht hatten, sondern sich aktiv für die Gemeinschaft eingebracht haben. Dafür danke ich allen Unterstützern herzlich!
Ihr BürgermeisterUlf Lübs
Weiterhin schrieb der damalige Bürgermeister der Gemeinde Reddelich, Ulf Lübs 2021:
Der Bedarf an Übertragungskapazitäten ist stetig im Steigen begriffen. Wo 2013 noch 30 Mb/s als Einstiegsrate zur Breitbandversogung galt, waren es 2016 bereits 50 Mb/s – mit steigender Tendenz. Möglich waren bereits Übertragungsraten von über 100 Mb/s. Dies allerdings nur mit Glasfasertechnologie bis zu den Hausanschlüssen, die sich als internationaler Standard durchzusetzen begann. Nicht so für deutsche Privathaushalte. Das deutsche Problem war die Deutsche Telekom
, die noch viele Jahre nach deren Privatisierung auftrat wie ein Staatskonzern. Die Deutsche Telekom
hatte sich auf Datenübertragungstechnologien auf Basis ihres Netzes aus Kupferkabeln festgelegt, die noch aus dem 20. Jahrhundert stammten. Diese waren meist längst abgeschrieben und deren Weiterbetrieb verschaffte dem Konzern traumhafte Gewinne. Durch die Monopolstellung bei den Netzen konnte die Deutsche Telekom
in Deutschland die europaweit höchsten Preise für Datenübertragung, wozu auch das Telefonieren zählt, durchsetzen. Die Bundesregierung war dem Konzern dabei ein willfähriger Helfer, bis an die Grenze des politisch Machbaren.
Trotz dieses Hintergrunds schob der Landkreis Rostock ein Projekt an, dass die Breitbandversorgung aller Haushalte im Projektgebiet zum Ziel hatte – unabhängig von deren Rentabilität. Dazu gab es Förderzusagen von anfangs 120 Millionen Euro
, wobei auch unsere Region zu den begünstigten zählte. Eine Idee, die zunächst breite Zustimmung bei den Kommunen fand. Auch, weil es zu dem Zeitpunkt kaum eine Alternative dazu gab. Zunehmend zum Problem wurden zwei Aspekte:
- Der Landkreis ist eine Behörde, in der die alte These griff: Behörde + Hochtechnologie = Chaos
- In das Projekt sollten immense Fördermittel der öffentlichen Hand fließen. Dafür gilt in der Regel: Um einen
Euro
Fördermittel zu erhalten muss der Begünstigte zwischen einhalb und zweiEuro
aufwänden.
In der Praxis konnten die Bagger erst nach öffentlichen Ausschreibungen der Leistungen anrollen um die neuen Leitungen zu verlegen. Die Ausschreibungen konnten wiederum erst erfolgen, nachdem der Förderstatus des gesamten Projektes klar war. Wann, wo, wie viele Fördermittel benötigt wurden war ein dynymischer Prozess. Das bedeutete, als die Ausschreibungsunterlagen fertig zur Veröffentlichung waren, hatten sich die Förderbedingungen geändert und es musste neu ausgeschrieben werden. Schuld daran waren auch verschieden Zeitrechnungen der Beteiligten. Während bei den Unternehmen ein Tag die Grundeinheit war, rechneten Behörden auch damals schon eher mit Monaten.
Erschwerend kam noch hinzu, dass nach den Förderrichtlinien technologieoffen ausgeschrieben werden musste. Das wurde zu einem beispiellosen Kotau zugunsten der Deutsche Telekom
. Der Konzern dachte nicht daran, seine Kunden mit moderner FTTH-(Fiber to the Home) Technologie zu beglücken,die zwischenzeitlich weltweiter Standard geworden war. Sie peppten lieber ihre vorhanden Netze auf Kupfer-Basis soweit auf, dass diese gerade so den Förderbedingungen entsprachen. Genannt wurde dieses Lifting Vectoring, was sehr modern klang. Durch das vorhandene Leitungsnetz musste deutlich weniger gebuddelt werden, was die Deutsche Telekom
jede Ausschreibung gewinnen ließ. Die ausgebremsten Endkunden würden sich das schon irgendwie schön reden.
Mitten in diesem Prozess stellte sich 2016 im Amtsausschuss ein junges Konsortium von Technologie-Unternehmen vor, die sich Deutsche Glasfaser
nannten. Diese wollten im ländlichen Bereich der Region Glasfaserleitungen bis zu den Endverbrauchern zu legen. Dabei verzichtete das Konsortium auf Fördermittel, weil diese mehr hemmten als nützten. Finanziert werden sollte die Infrastruktur durch vorhandenes Wagniskapital internationaler Geldgeber, was bei den Anwesenden für Irritationen sorgte. Kann das funktionieren? Wo ist der Haken? Dies waren die Kernfragen der Amtsausschussmitglieder.
Wir fanden keine Haken. Die Deutsche Glasfaser
schloss Verträge mit den Endverbrauchern ab. Wenn vierzig Prozent der Haushalte eines definierten Gebietes einen Versorgungsvertrag mit der Deutsche Glasfaser
abgeschlossen hatten, wurde gebaut. Die Konditionen für die Endkunden waren, für zwei Jahre Mindestlaufzeit, deckungsgleich mit dem damaligen Einstiegsangebot der Deutsche Telekom
, dass allerdings unter 16 Mb/s im Download und max 0,75 Mb/s im Upload umfasste. Bei der Deutschen Glasfaser lag das Einstiegsangebot zunächst bei 100 Mb/s sowohl im Down- als auch im Upload. Bandbreiten bis 1 Gb/s waren möglich.
Bedingung für den Ausbau war auch die wohlwollende Unterstützung der Kommunen bei der Planung und Ausführung. Geld floss dabei keines. Die Deutsche Glasfaser
wollte lediglich ihr Projekt im Konsens mit der Kommune durchführen.
Epilog
Heute – fünf Jahre später, kann ein Fazit gezogen werden. Glasfaser bis ins Haus (FTTH) hat sich als internationaler Standard durchgesetzt und von Breitband wird nun bei Übertragungsraten über 100 Mb/s gesprochen. Die Deutsche Telekom
vermarktet immer noch ihr Vectoring, welches sie bis an die physikalischen Grenzen aufgeplustert haben. Das Projekt Breitbandausbau des Landkreises befindet sich für unsere Region immer noch in der Planungsphase. Das Angebot der Deutsche Glasfaser
haben in unserem Amtsbereich lediglich Admannshagen-Bargeshagen und Reddelich angenommen.
In Reddelich hat das auch nur geklappt, weil die Gemeindevertretung das wollte und Bürger nicht nur an sich gedacht hatten, sondern sich sich aktiv eingebracht haben. Es wurde aufgezeigt, dass Bürgerinitiativen nicht zwingend destruktiv – also zur Verhinderung von irgendwas – sein müssen.
Für unsere Entscheidung, das Angebot der Deutsche Glasfaser
für unseren Ortskern anzunehmen, wurden wir z. T. harsch kritisiert. Angeblich hatten wir uns unsolidarisch verhalten, weil wir nicht abwarten wollten bis Reddelich und Brodhagen komplett erschlossen werden. Ich behaupte, genau das Gegenteil ist der Fall. Der Anteil der von der Deutschen Glasfaser
versorgten Haushalte am Fördermittelpaket kommt nun den nicht versorgten Haushalten zugute. Der höhere Erschließungsaufwand kann damit kompensiert werden. Also grundsolidarisch, wie ich meine.
Im Rückblick haben wir, die Unterstützer des Alternativprojektes Deutsche Glasfaser
alles richtig gemacht. Das Einstiegsangebot liegt für die Kunden der Deutsche Glasfaser
bei bei 200 Mb/s sowohl im Down- als auch im Upload. Damit müssen wir auf kein Angebot im Multimedia- oder IT-Sektor wegen fehlender Bandbreite verzichten. Auch bei der Nutzung von Homeoffice begrenzen die Server der Arbeitgeber den Workfloat, wie Arbeitsfluss nun oft genannt wird.
Ulf Lübs, im April 2021
Artikel aktualisiert am 17.10.2024