Die Reddelicher Büdnerei № 24

Von Reinhold Griese (Recherche), Ulf Lübs (Text, Layout).

Unter dieser Bezeichnung wurde der Hof der ehemaligen Hufe IX nach seiner Auflösung und Parzellierung im Jahr 1907 weitergeführt. Das damalige Wohnhaus ist noch erhalten. Es wurde saniert und wird von den derzeitigen Eigentümern und Mietern bewohnt.

1908 wurde die rund drei Hektar große Büdnerei von dem Landwirt Franz Hamann gekauft.

Im Jahre 1912 erwarb der Oberleutnant Hasso von Besser aus Doberan die Büdnerei. Auf Antrag des Spar- und Darlehnskassenvereins zu Reddelich wurde die Büdnerei 1931 zwangsversteigert, da Hasso von Besser die Zinsen für die eingetragene Grundschuld nicht bezahlen konnte.

1932 erwarb der Postschaffner a. D. Wilhelm Rowoldt, Sohn des Häuslers und Händlers Friedrich Rowoldt aus der Häuslerei Nr. 17, die Büdnerei und für seinen Sohn Fritz die Häuslerei Nr. 24 vom Spar- und Darlehnskassenverein. Dem Wilhelm Rowoldt wurde bescheinigt, dass er in der Lage sei eine Büdnerei zu bewirtschaften, da er schon einen landwirtschaftlichen Kleinbetrieb mit zwei Kühen und mehreren Schweinen unterhalten habe.

1934 wurde auf dem Hof eine Eierverwertungsgenossenschaft erwähnt. Geschäftszweck war offensichtlich der Aufkauf von Eiern aus der Region, deren Aufbereitung, Verpackung und Weiterverkauf. 1937 ließ Wilhelm Rowoldt einen Schweine- und einen Hühnerstall und eine Feldscheune errichten. 1939 wurden folgende Immobilien mit Angaben über den Taxwert versichert:

  • das Wohnhaus mit 15.000 RM,
  • ein Wirtschaftshaus mit 7.700 RM,
  • ein Lager- und Wagenschuppen mit 33.300 RM,
  • eine Feldscheune mit 3.000 RM,
  • ein Gewächshaus mit 2.000 RM,
  • ein Pumpenhaus mit 300 RM sowie
  • eine Motor- und Kreiselpumpe einschließlich Druckkessel mit 600 RM.

1943 erhielt Wilhelm Rowoldt vom Staatsministerium, Abteilung Landwirtschaft und Domänen, die Genehmigung, die beiden Büdnereien № 24 und 18 gemeinsam zu bewirtschaften.

1945 lebten auf der Büdnerei neben Wilhelm Rowoldt mit den Kindern Fritz und Ilse auch der Gärtnermeister Richard Lahl mit Familie. Nach Kriegsende wurden dort einquartiert: Hildegard Tinibel mit ihren (Schwieger-?) Eltern, Anna Urban aus Ostpreußen.


Frau Monika Tetzlaff, die Enkeltochter von Wilhelm und Frieda Rowoldt, schrieb 2012 einen Brief an die Redaktion RADUCLE. Ihre Eltern Friedrich Wilhelm (Fritz) und Ilse Wollenberg verließen 1956 zusammen mit ihren Kindern Monika, Erika und Dieter die DDR in die BRD. Nachfolgend ein Auszug aus dem Brief:

… Es ist für mich immer eine große Freude, wenn der Umschlag [mit der RADUCLE] im Briefkasten liegt. Sogleich wird es kurz durchgeblättert und dann später in aller Ruhe gründlich gelesen. Ich lese immer mit großem Interesse und freue mich, wenn ein Artikel aus früherer Zeit berichtet und ich mich auch daran erinnern kann und die Gedanken an eine schöne und behütete Kindheit in Reddelich erwachen. Ich denke gerne an diese Jahre zurück. Der große Hof zum Spielen, die vielen Tiere. Im Teich habe ich Schwimmen gelernt. Im Winter das Schlittenfahren im Hohlweg bis zum Bach an der Molkerei, es war immer toll. Es sind viele kleine Begebenheiten, an die ich mich erinnere, z. B. habe ich mich sehr gerne in der Gärtnerei meines Opas (Wilhelm Rowoldt) bei Herrn Richard Lahl aufgehalten. Ich durfte dann die kleinen Tabakpflanzen in vorbereitete Kästchen pikieren. Oder wenn meine Oma mich zu Bäcker Möller schickte ein Schwarzbrot zu holen, dieses hatte über die ganze Längsseite eine tolle Kruste, die dann auf dem Weg nach Hause abgeknabbert wurde, das gab natürlich Ärger. Es gibt noch vieles mehr, auch Trauriges. Die letzte Erinnerung an meinen Opa, (1956), als er unsere Koffer mit der Schubkarre zum Bahnhof brachte. Ich habe ihn nicht wieder gesehen. Jetzt bin ich schon 56 Jahre in Baden-Württemberg und froh, jederzeit einen Besuch in Reddelich machen zu können. Und ich freue mich über die positiven Veränderungen nach der Wende in der alten Heimat. …

Monika Tetzlaff, 2012

Von Reinhold Griese (2012)

Auch Reddelich spielt in der Literatur eine Rolle, was – wie ich feststellen konnte – durchaus einigen Bürgern unseres Heimatdorfes bekannt ist. In der Zeit von 1920 bis 1922 hielt sich der Schriftsteller, der baltendeutsche Alexander Graf Stenbock-Fermor (1902-1972), im Hause des Hauptmanns von Besser [auf der Büdnerei № 24 in Reddelich] auf. Über Reddelich schreibt der Autor in seiner Autobiographie "Der rote Graf" (1973) und in seiner heiteren unpolitischen Erzählung "Das Haus des Hauptmanns von Messer" (1933). Das Leben des roten Grafen Alexander Graf Stenbock-Fermor wird 1902 in der damaligen russischen Provinz Livland im Schloss des 25.000 Morgen großen Gutes seines Vaters in Nitau (jetzt Lettland) geboren. Alexander hat berühmte Vorfahren. Sie gehören dem Hochadel Schwedens, Schottlands und Russlands an. …

Im Jahre 1920 verlässt Alexander Graf Stenbock-Fermor Lettland und geht zu seinen Eltern nach Neustrelitz. Von dort zieh er zu einer befreundeten baltischen Familie, die sich das Haus des Hauptmanns von Besser in Reddelich (in der Erzählung das Haus des Hauptmanns von Messer) gemietet hat. Von hier fährt er täglich mit Eduard, dem Sohn der Gasteltern, nach Rostock, um sich im Unterricht bei einer Privatlehrerin auf die Abiturprüfung vorzubereiten. Seine traumatischen Bürgerkriegserinnerungen lassen ihn nicht los. …

Nach der Darstellung der schweren Erlebnisse findet der Autor zu einer humorvollen Schilderung des Lebens in Reddelich jener Zeit mit seinen skurrilen Vorkommnissen. Wir wollen uns nun hinwenden zu ein paar Bildern aus dem mecklenburgischen Dorf, zu den kleinen Dingen des Alltags, wie Stenbock-Fermor sie sieht. Im Mittelpunkt der Erzählung steht das Haus des Hauptmanns von Messer (von Besser) eingebettet in den großen Garten. Das Esszimmer, die Küche und einige Vorratskammern liegen unterhalb der Erdfläche. Die Luft ist hier feucht. An der Wand hängt eine alte, verrostete Ritterrüstung, die häufig des Nachts mit großem Krach herunterfällt. An den Wänden hängt das Wappen derer von Messers, daneben viele Ahnenbilder. Im Haus spukt es. Nachts hört man die Schritte des Kutschers des alten Messer, der sich oben erhängt haben soll.

Die handelnden Personen der autobiographischen Erzählung sind: Magnus, so nennt sich der Autor; die Hausmieter Herr und Frau Baron und Baronin von Moosbach (Mooswald); deren Kinder Eduard und Alexandra; Frau Mülling aus dem Dorf, die Haushälterin; der Briefträger, der Paulus heißt, aber Apostel Paulus genannt wird; die Witwe Schulze mit ihrem Bruder, den Lustmörder Wacker, der vor vielen Jahren ein minderjähriges Mädchen verführt haben soll und in Haft gesessen hat; der Schneider Kohlrausch, der aus Elsaß-Lothringen geflohen ist und der wegen seines Aussehens der König von Spanien genannt wird mit seiner kleinen, hübschen Frau, die wie ein Filmstar aussieht; die Tanten Frieda und Adele, zwei entfernt verwandte Baronessen aus Schwerin, die sonntags häufig mit dem Zug zu Besuch kommen. Und da ist dann noch der altersschwache Dackel Dollbein, der ständig in seiner Hängematte schläft und zum Fressen und zu seinem Geschäft getragen werden muss. Die Sahneziege begeht Selbstmord, in dem sie so lange am Strick um den Pfosten, an dem sie fest gebunden war, herum gerannt ist, bis sie keine Bewegungsfreiheit mehr hatte und erstickt ist. Das Schwein, Absalon genannt, wird mit vereinten Kräften geschlachtet. Eduard bindet es an einem Pfosten fest. Der Schneider betäubt es mit einem Axthieb an den Kopf. Der Briefträger sticht es ab. Alexandra rührt das Blut und wird dabei ohnmächtig. Interessant geht es auf dem Hühnerhof zu. Die Hühner können durch das Pfeifen einer Wiener Walzermelodie herangelockt werden, voran der weiße Hahn Balting mit einem roten Band um den Hals. Eine amouröse Geschichte fehlt auch nicht. Der junge Adlige verkehrt mit der Frau des Schneiders. Sie treffen sich in Rostock und gehen hier gemeinsam aus. Wenn der Schneider Kohlrausch sich zum Kegeln in Kröpelin aufhält, sich am Stammtisch betrinkt und dann in der Nacht ausbleibt, empfängt seine Frau den jungen Magnus heimlich, der dann am frühen Morgen auf Socken unerkannt nach Hause schleicht.

Wenn man die Erzählung liest, so hat man als Kundiger oft Schwierigkeiten, die Orte der Handlungen in Reddelich exakt festzustellen. So lässt der Autor eine Kleinbahn von Reddelich nach Doberan fahren. Von der er dann dort in den Zug nach Rostock umgestiegen ist. Der Standort des kleinen Hauses des Schneiders in der Nähe des Bahnhofs gegenüber der Gastwirtschaft lässt sich auch nicht genau bestimmen. Das und vieles andere können wir getrost als schriftstellerische Freiheit abhaken. Wir fragen uns natürlich auch, ob die Personen frei erfunden sind oder ob es echte Vorbilder für sie gibt. Besonders interessant für uns ist aber die lebendige Darstellung eines Ausschnitts des Lebens in Reddelich in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das Haus des Hauptmanns – heute Familie Wellach – ein Teil der Welt Außerhalb der norddeutschen dörflichen Einsamkeit wird die Welt nach dem Ersten Weltkrieg geschüttelt von den Stürmen der Zeit, die der Autor nicht ausspart und mit knappen Worten wie folgt schildert: »Während die Familie Mooskuhl in Weddelich lebt, geschieht einiges in Deutschland. Der Kapp-Putsch bricht am Generalstreik zusammen. In Mitteldeutschland und Hamburg schlagen Polizei und Reichswehr Arbeiteraufstände nieder. Erzberger und Rathenau werden ermordet.« Stenbock-Fermor schließt seine Erzählung mit den Sätzen: »Das Haus des Hauptmann von Messer liegt im Schlaf. Das Dorf Weddelich liegt im Schlaf. Es ist umgeben von weiten, flachen Feldern. Und Schnee, Schnee fällt vom Himmel.« Der Schriftsteller will uns mit seiner Erzählung, die wohl doch nicht ganz so unpolitisch ist, mitteilen: Die dörfliche Ruhe und Abgeschiedenheit besonders im Winter ist oft trügerisch. Sie sollte uns nicht daran hindern, uns mit dem Geschehen über die Grenzen des Hauses und Dorfes hinaus zu beschäftigen – wie es die Reddelicher heute tun.


Auf die Veröffentlichung von Reinhold Griese ist Herr Valentin Tschepego aufmerksam geworden. Zu seinen Beweggründen, das Leben und Wirken des Roten Grafen zu erforschen schrieb Herr Tschepego:

Stenbock-Fermor hatte eine gewisse Rolle in meiner Heimatstadt Neustrelitz gespielt. Zu ihm und seinem Bruder Nils gab es darüber hinaus familiären Kontakt – meine Großeltern waren mit den beiden in den zwanziger Jahren befreundet. Somit sammle ich Material zu beiden – nach und nach wird vielleicht ein Buch daraus. Außerdem war Stenbock-Fermor ein Großneffe von Peter Kropotkin, welcher einer der bedeutendsten sozialen Denker des 19./20. Jahrhunderts war. Hier interessierte mich die Sicht der Familie auf Kropotkin.

2013, Der vollständige Brief ist veröffentlicht unter: Valentin Tschepego über die Verbindung von Stenbock-Fermor zu Reddelich

Artikel aktualisiert am 25.03.2024